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1984, B

Dass die Inszenierung im Berliner Ensemble die Gefühle auf Abstand und die Betroffenheit zur intellektuellen Aufgabe macht, ist eine große Regieleistung, denn sonst könnte man die Folter dieses Paares nicht lange ertragen, das hier als Protagonisten für eine total bewachte Gesellschaft ebenso mutig wie blind an eine gemeinsame Zukunft glaubt. Winston und Julia versuchen auch nach allem Schmerz und allem Verrat aneinander, das zurückzuerobern, was von ihren Körpern und Herzen übriggebleiben ist. Da ist wenig heil gebleiben, aber es gleicht einem Funken, der sich von Neuem entzünden kann. Aber wie sieht es aus in China, in Russland, in Lateinamerika, in vielen afrikanischen Ländern und asiatischen Staaten wie Nordkorea, wo eine mächtige Clique den Staat beherrscht, wo junge Männer als Kanononopfer verkauft werden und Hunger und Elend der Bevölkerung mit dem Bau von Atomwaffen ausgeglichen werden. Es gibt keine Hoffnung, wenn auch noch die Gedanken überwacht und getötet werden. Veränderung könnte nur wirklich von außen mit Hilfe der starken, noch auf ihre Demokratie gestützten Länder gedacht und verwirklicht werden. Ein auf die totale Vernichtung des freien Individuums bedachtes Regime kann sich sonst nur noch selbst auslöschen, wenn es keinen Menschen mehr hat, den es beherrschen kann.

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Extinction, B

Oder sind diese scheinbar ausgelöschten Wesen nie dagewesen- haben sie keine Spuren hinerlassen wie die Schwärme eleganter Meerestiere, die über die Bühne gleiten und leuchten wie sich verflüchtigenden Gestalten, die zurückkehren in fremde Welten… Was ist wahr und was ist wirklich, fragt sich der Mann im Dunklen, läßt Gott einen Deal zu? Er hat die Jahrszeiten gesichert, noch, kann man sich darauf verlassen? Bleiben Berge, Meere und Erde, kehrt alles zu seinen Ursprüngen zurück?Tänzer knieen um ein zerfallenes Skelett und setzen es wieder zusammen, Kopf, Glieder, Körper, Beine, Arme, Schwanz – wird es, was war es? Alles getanzt in sanften, gleitenden Bewegungen,und wie in einer anderen Welt entsteht eine Sphäre des Geheimnisvollen, so ganz und gar, nicht erschreckend, sondern eher märchenhaft unglaublich…

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The Silence, B

Das Bühnenbild zeigt eine kleine Schneelandschaft inmitten der Lüneburger Heide, denn in Buchholz ist Falk Richter als Kind und junger Heranwachsender zuhause. Der Ort ist beschaulich und übersichtlich, jeder kennt jeden, und für Teens geradezu ein Albtraum. Idylle ist das Allerletzte, was der junge Falk wünscht, er will gehört, gesehen, akzeptiert werden in seinem Sosein und vor allem in seinem Anderssein. Die Eltern haben mit ihrer Vergangenheit seit langem abgeschlossen und sind nicht in der Lage, ihr Leben, ihre Verantwortung, ihre Einstellung zu den immerwährenden bohrenden Fragen ihres Sohnes nach ihrer Lebensgeschichte Antwort zu geben. Das treibt ihn um bis er, längst erfolgreich und angesehen in seinem Theatermetier, eine autofiiktives Stück schreibt und einen großartigen Darsteller für sich selbst findet: Dimitrij Schaad.

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Die Reise der Verlorenen, OL

Die Geschichte, um die sich hier ein gut aufgebautes erzählendes Theater rankt, ist bekannt und lehnt sich leider an die bittere Wahrheit: Im Programmheft wird das Schicksal der von der Deutschen Regierung auf die St. Louis der Hapag Reederei in Hamburg gebrachten 937 Passagiere, Frauen, Kinder und Männer, die nach Kuba abgschoben werden sollen, gut erläutert. In der Absprache zwischen Deutschland und Havanna sollten die Flüchtlinge auf der Insel zwischenstationiert werden, bis sie Visa für die Weiterfahrt nach Amerika erhalten. Unsummen Geldes waren bezahlt und – wie sich erst auf der Überfahrt herausstellt – mit ungültigen Einreise- Zertifikaten beglichen worden.

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Human Design, Tanztage, OL

Von ebensolcher Intensität und Einfühlung ist die Szene, die eine wunderbare Tänzerin mit ihrem Partner, der schwer behindert im Rollstuhl heranfährt, celebriert. Ja, es ist ein Fest der Entfaltung, das hier gezeigt wird und wohl so selten ist, wie eine Auferstehung, ein neues Lebensgefühl…denn der Mann erhebt sich aus dem sicheren Gefährt und versucht, die Partnerin zu erreichen und in ihrem beinahe schon ekstatisch hochgefahrenen Stepptanz zu beruhigen, ihr die Hand zu reichen, ihr nun wieder durch die Berühung eines anderen Menschen zu Sicherheit zu verhelfen. Eine gegenseitige Partnerschaft, wie sie wohl sehr hart erarbeitet wurde, aber mit so großem empathisch-sinnlichen Erfolg, wie ihn keine der von mir gesehenen Compagnien für sich verbuchen konnte.

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